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WM 54 – Erinnerungen an den ersten Stern: Das Wunder von Bern

Lederball aus den 50er Jahren liegt auf einem Kunstrasen-Fußballplatz.

Nur wenig bleibt im Gedächtnis einer Nation so sehr haften wie, wenn die eigene Mannschaft eine Weltmeisterschaft im Fußball gewinnt. Viermal durften die Deutschen schon feiern. Wir blicken zurück auf die WM 54 und wie Menschen sie erlebt haben.

WM 54: Erinnerungen, die nie verblassen werden.

Es gibt Ereignisse, die brennen sich den Zeitzeugen ins Gedächtnis ein. Egal, wie viel Zeit vergangen ist, erinnert man sich noch erstaunlich genau. Eines der schönsten solcher Ereignisse war die WM 54, als Deutschland in Bern im Finale geben Ungarn Weltmeister wurde. Die das „Wunder von Bern“ miterlebten, schwärmen bis heute davon. Deutschland erhielt damals seinen ersten Stern. Bodo Kannacher aus Essen war ein kleiner Dötz von 8 Jahren als er die WM 54 erlebte. Er spielte selbst Fußball. „Da wir Jungen ja sehr an Fußball interessiert waren, wollten wir in Erfahrung bringen, wo man denn überhaupt ein Spiel im Fernsehen sehen könnte.“ Damals war das nicht so einfach, denn die wenigsten besaßen einen Fernseher. „Jeder von uns hat sich umgehört, wo es möglich wäre, von der WM 1954 wenigstens das Finale zu sehen.“ So machten sie eine Kneipe in ihrer Umgebung ausfindig, die extra für das Endspiel Deutschland – Ungarn einen Fernseher ausgeliehen hatte. Weil sie dem Wirt öfters geholfen hatten, durften sie sich eine Stunde vor Spielanpfiff vor den Fernseher setzen. Getränke bekamen die vier Jungs vom Wirt umsonst. „Die Zeit wollte einfach nicht vorbei gehen und so starrte man immer auf das Testbild. Es tat sich aber nix, bis es endlich losging mit Bildstörungen. Dann lief das Spiel noch im Radio weiter. Also hatte man nichts verpasst. Ungarn ging 2:0 in Führung. Man dachte schon das wars jetzt, aber dann legte Deutschland los. 2:1 Morlock (10Minute), 2:2 Rahn (18Minute).“ Dann das unvergessliche 2:3 von Rahn in der 84 Minute. „Unvergesslich…Rahn müsste schießen…Tor…Tor…Tor…Aus…Aus…Aus…Deutschland ist Weltmeister. Unverkennbar Herbert Zimmermann. Alle fielen sich in die Arme. Was für ein Erlebnis.“   https://www.youtube.com/watch?v=pB9t9DQyEZo   Auch Sunnhild Schulz schaute in einer Gaststätte: „Ich erinnere mich noch zu gut an den 4. Juli 1954. Ich war 17 Jahre alt und durfte das Endspiel der WM 1954 mit dem Einverständnis meiner Mutter in der Gaststätte gegenüber unserer Wohnung sehen. Ich war wohl fast das einzige weibliche Wesen inmitten begeisterter männlicher Zuschauer und wurde am Ende des Spiels fast von ihnen erdrückt. Meine Begeisterung für Fußball hat all die Jahre angedauert.“

Weitere Erinnerungen an das Finale der WM 54 und die Aufstellung

Udo Hinn aus Essen war sechs, als er mit seinen Eltern im Westerwald in den Ferien weilte – und erinnert sich an das Saba-Fernsehgerät, dass extra für die Feriengäste für die WM 54 aufgebaut wurde. „Ich habe dort zum ersten Mal in meinem Leben ferngesehen und dann noch Fußball mit Helmut Rahn aus meiner Heimat Essen. Dieses Erlebnis werde ich nicht vergessen.“ Noch näher dran war der Vater von Thomas Götz. Der saß 1954 als 15-Jähriger im Stadion auf der Tribüne zwischen den Auswechselspielern. Damals gab es noch keine Ersatzbank, darum saßen die nicht nominierten Spieler auf der Tribüne. Götz spielte in der Jugend des HSV und kannte den ein oder anderen persönlich. „Als bei der WM 1954 im Finale das 3:2 fiel, sind sich alle in Arme gefallen.“

WM 1954: das Finale aus Kolumbien verfolgt

Weiter weg dagegen war Thomas J. Huber. Er saß einen Monat nach dem WM-Finale in Kolumbien im Kino, „als ungefähr acht Minuten des Finales der WM 54 in der Wochenschau gezeigt wurden.“ Der damals Achtjährige und sein Vater guckten sich den eigentlichen Hauptfilm dreimal an, um die Wochenschau dreimal mitzubekommen. Eine besonders erfrischende Radioübertragung der WM 1954 Deutschland gegen Ungarn genoss der damals 15-jährige Joachim Ziegler: „Wir waren im Schwimmbad meiner Heimatstadt Höxter an der Weser. Da hatte der Bademeister das Radio an den Lautsprecher angeschlossen, wir saßen am Beckenrand und haben ,Public Hearing’ gemacht.“ Anschließend sei er mit Freunden im „singenden Fußgänger-Korso“ durch die Stadt gezogen. Wolfgang Herder verfolgte als 16-Jähriger im Vereinsheim des VFL Tegel das Spektakel der WM 1954 am Radio, das er als „pure Freude“ in Erinnerung hat: „Da musste es still sein. Deshalb haben wir in Richtung Theke gerufen: Klappert nicht so, gespült wird später!’“ Auch in der Familie von Jean-Pierre Lefablec gab es noch keinen Fernseher. Der Oberprimaner aus Köln fuhr „in den überfüllten Eissalon Campi in der Schildergasse“. Auch Autokorso nach dem Spiel war noch nicht erfunden, dafür brüllte er bei der Heimfahrt vom Rücksitz des Rollers seines Freundes allen Passanten immer wieder zu: „Wir sind Weltmeister, wir sind Weltmeister.“

Vor dem WM-Finale 54 ein Eis

Nicht nur Jean-Pierre Leflablec hatte Glück in der Eisdiele. Alf Ehrkamps Familie bestand aus sieben Kindern und hatte bei einem Ernährer nicht besonders viel Geld. „Am Tag des Endspiels bekamen mein Zwillingsbruder Ernst und ich jeder 10 Pfennig für ein Eis. Wir konnten die nette ältere Frau der Eisdiele überreden, uns an dem Tag ein Eis für 5 Pfennig zu geben, so das wir noch fünf Pfennig übrig hatten, um uns von der WM 1954 das Finale in der Aula der St.Suitbertusschule in Heiligenhaus im Fernsehen ansehen zu können. Der Eintritt dort sollte aber 10 Pfennig für Kinder kosten. Auch hier gelang uns für 5 Pfennig der Eintritt. Wir waren beide zu dem Zeitpunkt 9 Jahre alt. Es war einer der schönsten Tage in unserem Leben, ein Eis und dann noch Weltmeister.“ Beim Darmstädter Hof in Ober-Erlenbach hatte man fürs Endspiel der WM 1954 einen Fernseher ausgeliehen und wer hier gucken wollte, musste einen Verzehrbon von 1,50 D-Mark erwerben. „Ich konnte nur eine Mark und 35 Pfennig zusammenkratzen“, erinnert sich Rudi Stoll. Doch die Wirtin hatte ein Einsehen, und so konnte der 16-jährige Rudi bei der WM 54 doch noch mit seinen Freunden im „rappelvollen“ Gastraum das Finale gucken. Für manch einen war das Verzehrgeld jedoch unerschwinglich. Dieter Petri war 15 Jahre alt und wohnte in seiner Geburtsstadt Hamm (Westf.). „Meine Eltern hatten noch keinen Fernseher. Es gab einige Gaststätten mit Fernseher, aber die verlangten immer Verzehrgeld. Beim Endspiel war die Summe für mich unerschwinglich. Ich spielte damals selber Fußball und wollte mir bei der WM 1954 das Finale nicht entgehen lassen. Also machte ich mich früh auf den Weg, um das Endspiel am Schaufenster eines Elekrogeschäftes zu sehen. Diese Idee hatten natürlich viele andere Leute. Ich habe das Spiel in der 4. oder 5. Reihe verfolgen können. Der Jubel war am Ende natürlich groß und wir umarmten uns alle.“ Rudolf Wallenburger aus Fulda erinnert sich, dass es nur wenige Gaststätten mit einem Schwarz-Weiß-Fernseher gab. Und dass nur „Stammgäste, die einen Verzehr-Gutschein erwarben“, dort auch das Endspiel der WM 54 sehen durften: „Für mich als elf Jahre alten Schüler kam also beides nicht in Betracht.“ Da aber der Sohn des Wirtes sein Freund war, gab es eine Lösung: die beiden setzten sich unter den Tisch in der ersten Reihe. Einziges Problem: „Ich durfte mich nicht bewegen.“ Als nach dem Schlusspfiff der Tisch im Überschwang der Freude umflog, wurden die Buben enttarnt, blieben aber unverletzt. „Was danach im Lokal und davor passierte, ist heute kaum vorstellbar.“

Nach dem Finale der WM 1954: Spontane Aufstellung zur Nationalhymne

Erwin Sauke war 11 Jahre als er 1954 die Übertragung in einem Wirtshaussaal erlebte. „Das winzige Fernsehgerät stand erhöht auf einem Gestell, um möglichst allen die Sicht zu ermöglichen. Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt. Das Auf und Ab der Stimmungslage bekam man hautnah mit. Als das Spiel zu Ende war, gab es kein Halten mehr. Ein Ausbruch der Emotionen, denn ein Traum war erfüllt worden. Das unaufgeforderte Absingen der Nationalhymne war die Krönung. Diese Momente vergisst man nie.“ Für Joachim Widdel aus Burg in Dithmarschen, HSV-Fan und Bewunderer von Jupp Posipal, stellte die WM 1954 mit seinem Finale Deutschland gegen Ungarn sein „erstes Fernseherlebnis“ dar. Beim Elektro-Händler Claußen in der Wellblech-Autogarage wurde das Spiel gezeigt, und der Elfjährige war live dabei. „Was für eine Freude, was für ein Jubel“, es blieb für den heute 71-Jährigen „unvergesslich“.

Viele Tore im WM-Finale 54

Ulrich Runkel aus Nümbrecht sah das Spiel mit zwanzig „tobenden Männern in einem winzigen Zimmer vor einem winzigen Bildschirm.“ Für ihn war der 3:2-Sieg dank Schuss von Rahn aus dem Hintergrund allerdings keine Überraschung: Er hatte zuvor auf der Dorfwiese mit seinen Kumpels die besten Spielzüge durchgespielt und zudem die Schamanen-Praxis des Blütenblätter zupfens abgewandelt: „sie liebt mich, sie liebt mich nicht“ – “wir gewinnen, wir gewinnen nicht, wir gewinnen.“ Und so kam es dann auch. „Meine Mutter und ich waren damals gerade ins Flüchtlingsheim gezogen. Eine Nachbarsfamilie hatte einen Fernseher für die WM 54 organisiert. Das Zimmerchen war rappelvoll, wir Kinder mussten stehen, aber weil der Fernseher oben auf einem Schrank stand, konnten alle was sehen“, erinnert sich Klaus Beckerling: „Aber mitten im Spiel ging das Gerät aus!“ Das Gerät war nämlich ein Münzfernseher, der nur funktionierte, wenn man regelmäßig 50 Pfennig einwarf. Nach einer kurzen Unterbrechung waren Bild und Ton wieder da, und der damals Achtjährige konnte live verfolgen, wie Rahn bei der WM 1954 im Finale das Siegtor schoss. „Sonntag, 4. Juli 1954, später Nachmittag: Im Berner Wankdorf-Stadion spielt Deutschland gegen die „unschlagbaren“ Ungarn. Im Haus gab es eine Familie, die schon ein Fernsehgerät besaß“, erzählt Dr. Hansjörg Döpp: Mein Freund und ich, damals 14 Jahre alt, durften uns in dem überfüllten Wohnzimmer einen Platz suchen – es blieb nur der Teppichboden direkt unter dem Fernsehgerät, wo wir, die Beine weit unter den Fernsehtisch geschoben, aus unmöglicher Perspektive das Spiel verfolgten. Als Helmut Rahn bei der WM 1954 im Finale das 3:2 schoss, holte der Hausherr aus der Badewanne (!) die ersten wassergekühlten Sektflaschen und wollte schon den Sieg feiern. In diesem Moment schoss Puskas das Tor zum 3:3! Ich vergesse nie den enttäuschten Aufschrei unseres Gastgebers, der erst mit Verzögerung registrierte, dass das Tor wegen Abseits nicht gegeben wurde. Danach brachen die Dämme – die Aufräumungsarbeiten sollen Tage gedauert haben.“ Zu den wenigen, die das Finale der WM 1954 vor dem eigenen Fernseher verfolgten, gehörten Wolfgang Zimmermann und seine Eltern. Obwohl die finanzielle Situation eigentlich dagegen sprach, hatten die fußballverrückten Männer der Familie die kostspielige Anschaffung durchgesetzt. „Nach dem Spiel holte meine Mutter zur Feier des Tages eine Flasche Wein aus dem Keller, und ich hätte die ganze Welt umarmen können“, beschreibt der damals 23-Jährige. Schon damals wurden die Bildchen der Nationalspieler gesammelt. So wie von dem damals 14 jährigen Willi Wittmann. Er wohnte in der Gemeinde Lobberich (heute Nettetal). „Auch auf dem Lande war die Begeisterung für den Fußball groß, wir sammelten als Kinder Bildchen der Nationalmannschaft, natürlich in schwarz-weiß. Fernseher gab es in Lobberich kaum, lediglich auf der Breyeller Straße hatte ein Lokal einen kleinen Saal. Ich war noch ziemlich klein, bin zur damaligen Zeit auch nicht in dieses Lokal gekommen bzw. durfte nicht, aber vom Fenster von der Straße aus konnten wir auf einem sehr kleinen Bildschirm das Finale der WM 1954 auszugsweise sehen. Als der große Jubel mit dem Siegtor ausbrach, habe ich natürlich nichts mehr gesehen. Das ist meine Erinnerung an den ersten Titelgewinn für Deutschland!“

WM 54: Das Wunder von Bern wird geboren

Der heute 77-jährige Horst Flindt aus Nortorf in Schleswig-Holstein hat die WM von 1954, von allen WM Finals mit deutscher Beteiligung, noch am besten in Erinnerung. „Mein Vater hat mich mit zum Arzt unseres Dorfes genommen, der hatte das Geld für einen eigenen Fernseher. Das war ja die absolute Ausnahme, dass jemand so ein Gerät besaß. Der Fernseher lag auf dem Rücken, strahlte nach oben, und man sah das Bild über einen Spiegel. Alle anderen saßen ja im Café, teils mit 200 oder 300 Leuten.“ Die Freude nach dem Wunder des Siegs war grenzenlos. Das „Wunder von Bern“ wurde zum Symbol des Aufbruchs nach der entbehrungsreichen Nachkriegszeit und stand fortan für mehr als den rein sportlichen Erfolg. „Wir waren wieder wer!“, ist ein Ausdruck, der vielen Zeitzeugen zu diesem Weltmeistertitel einfällt, manch einer bezeichnet dieses Ereignis gar als „die emotionale Geburtsstunde der Bundesrepublik“.

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