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Keine komplizierten Anträge – Häusliche Pflege soll einfacher werden

Die Tochter kümmert sich zusammen mit ihren Eltern um die Anträge bei der Pflegekasse.

Kaum jemand blickt noch durch, welche Leistungen die Pflegeversicherung für die häusliche Pflege anbietet. Zudem entsprechen die Angebote oft nicht den Bedürfnissen. Der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, will das ändern. Er will den Zugang zu Hilfen für Pflegebedürftige erleichtern, die zu Hause betreut werden. Das bisherige „Leistungswirrwarr“ solle durch zwei flexible Budgets ersetzt werden. Und so sollen die aussehen.

Bürokratieabbau in der Pflege zur Vereinfachung der häuslichen Pflege

In Deutschland werden rund drei Millionen Menschen zu Hause gepflegt. Von den drei Millionen, die zuhause etwa Ehemann, Vater oder Mutter pflegen, würden 185.000 die häusliche Pflege am Liebsten einstellen. Das zeigte ein Pflegereport der Krankenkasse Barmer schon 2018. Der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, sagt: „Das wäre eine Katastrophe.“ Nun legte Westerfellhaus ein Konzept vor, die Pflege in den eigenen vier Wänden grundsätzlich zu erleichtern. Immer mehr Pflegebedürftige, die zu Hause leben, fühlten sich im bestehenden Leistungssystem der Pflegeversicherung nicht gut versorgt, heißt es in dem Konzept von Westerfellhaus. Zwar decke die Pflegeversicherung grundsätzlich viele Bedürfnisse der häuslichen Pflege ab. „Aber den Menschen fehlt oft das Wissen, welche Leistungen es überhaupt gibt.“ Insbesondere Leistungen zur Entlastung pflegender Angehöriger würden deshalb oftmals nicht abgerufen. Gerade die Angehörigen leisteten viel und seien immer häufiger überfordert. Im schlimmsten Fall würden sie selbst krank und könnten die häusliche Pflege nicht mehr übernehmen. Das dürfe nicht so bleiben, betonte Westerfellhaus. Heute leide die häusliche Pflege unter einem „Leistungsdschungel“, heißt es dort. Hilfe durch einen ambulanten Pflegedienst, Pflegegeld, Tagespflege, Nachtpflege, Verhinderungspflege und Kurzzeitpflege – durch den Wust vieler teils kombinierbarer, teils sich ausschließender Leistungen könnten viele nicht durchsteigen. „Pflegebedürftige haben eine Vielzahl teilweise kleiner, kombinierbarer oder sich gegenseitig ausschließender Leistungsansprüche“, analysiert der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung. Es gebe bis zu 20 unterschiedliche Anträge. Ein bürokratisches Dickicht. „Leistungen würden deshalb oftmals nicht abgerufen, weil viele auf dem Weg dorthin frustriert aufgeben“, sagt Westerfellhaus. Ein Bürokratieabbau in der Pflege ist dringend von nöten. Denn viele wünschen sich dringend weniger Bürokratie, feste Ansprechpartner und mehr Aufklärung über Leistungen, die ihnen zustehen. „Pflegebedürftige können die Leistungen der Pflegeversicherung derzeit immer nur in einer streng vorgegebenen Form nutzen“, sagte Westerfellhaus dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Die Pflegeversicherung verlange ihnen ab, sich den vorgegebenen Leistungen anzupassen, kritisierte er. „Das halte ich für einen falschen Ansatz. Die Pflegeversicherung muss sich den Bedürfnissen der Menschen anpassen“, so der Regierungsbeauftragte. Sein Rezept gegen diese Missstände bei der häuslichen Pflege: die Bündelung von Leistungen – und systematische Beratung. Er schlägt vor, die verschiedenen Leistungen in zwei pauschalen Pflege-Budgets zusammenzufassen, damit sie von den Betroffenen unkompliziert und vor allem flexibel genutzt werden können. “Die Pflegeversicherung muss sich den Bedürfnissen der Menschen anpassen.”, so der Pflegebevollmächtigte.

Zwei Budgets sind für die häusliche Pflege geplant

Das Gebäude des Bundestages in Berlin.
Der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, schlägt zur Vereinfachung der häuslichen Pflege zwei Budgets für die Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen vor.

In Zukunft sollen Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen für die häusliche Pflege zwei Geldtöpfe zur Verfügung stehen: ein Pflegebudget und ein Entlastungsbudget.

Das Pflegebudget

Das Pflegebudget soll sich am Pflegegrad orientieren und monatlich zur Verfügung stehen. Pflegebedürftige können es ganz oder anteilig für Leistungen der ambulanten Pflege und Betreuungsdienste sowie für bestimmte Pflegehilfsmittel nutzen. Nicht ausgeschöpfte Beträge werden laut Konzept automatisch zu 50 Prozent ausbezahlt. Der Betrag umfasst die bisherigen Pflegesachleistungen beziehungsweise das Pflegegeld. Zusätzlich fließen der Entlastungsbetrag von 125 Euro, die 40 Euro für Pflegehilfsmittel und ein Teil des für die Verhinderungspflege zur Verfügung stehenden Betrags in das Budget.

Das Entlastungsbudget 2020

Ein zweites pauschales Budget, das Entlastungsbudget 2020, soll dazu genutzt werden können, eine Betreuung zu organisieren, wenn die Angehörigen verhindert sind, etwa durch Krankheit, Dienstreisen oder Urlaub. Dieses Budget soll die bisherigen Leistungen für die Kurzzeit-, Tages-, Nacht- und Verhinderungspflege umfassen. Seine Höhe hängt ebenfalls vom Pflegegrad ab und steht je Quartal zur Verfügung. Es soll flexibel für Tages und Nachtpflege sowie für bis zu zwölf Wochen vorübergehende vollstationäre Pflege pro Jahr (bisher Kurzzeitpflege oder Verhinderungspflege) eingesetzt werden können. Dabei soll es zum Beispiel möglich sein, nicht verbrauchte Beträge des Vorquartals zu nutzen. Damit wäre es zum Beispiel möglich, die Angehörigen bis zu zwölf Wochen im Jahr vorübergehend in einem Heim unterzubringen. Derzeit reichen die Zahlungen der Pflegeversicherung oft nur für drei Wochen. Nach den Vorschlägen Westerfellhaus würde im Pfleggegrad drei jedem Pflegebedürftigen ein Pflegebudget in einer Größenordnung von 1.500 Euro im Monat und ein Entlastungsbudget für Angehörige von 4.600 Euro im Quartal zur Verfügung stehen. Im Pflegegrad fünf würde sich das monatliche Pflegebudget auf 2.200 Euro und das Entlastungsbudget auf 6.650 Euro im Quartal belaufen. Schätzungen darüber, was die neuen Budgets die gesetzliche Pflegeversicherung insgesamt kosten werden, nannte Westerfellhaus nicht. Zwar wird an der Höhe der Leistungen nichts geändert. Es kann allerdings davon ausgegangen werden, dass die Ausgaben steigen, wenn die Leistungen flexibler und unkomplizierter genutzt werden können.

Neues Beratungssystem für die häusliche Pflege

Darüber hinaus soll ähnlich dem Hebammen-System ein System an Ko-Piloten (Koordination-Pflege im Lot) für die Pflege aufgebaut werden: Pflegekräfte oder Sozialarbeiter sollen regelmäßig nach Hause kommen, die Betroffenen beraten und die passenden Angebote finden. Wird jemand neu pflegebedürftig, rechnet Westerfellhaus mit einem Bedarf von neun bis 13 Stunden pro Monat.

Kostenübernahme bei digitalen Pflegehelfern gefordert

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) fordert eine Entlastung von Betroffenen und Angehörigen durch die Kostenübernahme für digitalen Pflegehelfern. Kassen sollten demnach die Kosten für Produkte wie Ortungs-, Notruf- oder Sturzerkennungssysteme tragen. Gleiches gilt auch für Abschaltsysteme für Haushaltsgeräte oder digitale Hilfen zur Erinnerung an die Nahrungs- und Getränkeaufnahme.

Erhoffter Nutzen für die häusliche Pflege

Durch die Budgets und die Beratung sollen die Beträge leichter zur Verfügung gestellt und einfacher eingesetzt werden können. „Heute müssen bis zu 20 unterschiedliche Anträge gestellt werden, um an Leistungen zu kommen“, sagt Westerfellhaus. Damit soll Schluss sein. Es sei zwar nicht geplant, neue Leistungen zu bestimmen – aber es würden wohl schon mehr Mittel genutzt.

Mögliche Umsetzungschancen für das Entlastungsbudget für Angehörige

Ob die Vorschläge tatsächlich umgesetzt werden, ist offen. Westerfellhaus hat nur ein Vorschlagsrecht. Zwar ist die Zusammenlegung von Leistungen auch im Koalitionsvertrag von Union und SPD verankert. Die Vorschläge des Pflegebeauftragten gehen aber über diese Vereinbarungen hinaus. Nun kommt es auf Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) an. Eine Sprecherin nannte den Vorstoß einen „interessanten Debattenbeitrag“. Spahn wolle bis Mitte des Jahres selbst neue Finanzvorschläge vorlegen – inwieweit er sich die Vorschläge seines Bevollmächtigten aneignet, ist offen. Das Entlastungsbudget für Angehörige steht aber auch im Koalitionsvertrag als Plan. Sozialverbände wie der VdK Deutschland machen Druck für eine Umsetzung.

Schritt in die richtige Richtung zum Bürokratieabbau in der Pflege

Vertreter von Parteien und Verbänden begrüßten die Initiative des Pflegebevollmächtigten als Schritt in die richtige Richtung zum Bürokratieabbau in der Pflege. Die Angehörigen seien der größte Pflegedienst Deutschlands und müssten entlastet werden, erklärte beispielsweise Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Aus Sicht von Patientenschützern, Wohlfahrtsverbänden, Vdk, Linken und Grünen hat die Sache aber einen Haken: Der Bürokratieabbau in der Pflege nutze nichts, wenn Angebote zur Entlastung fehlten. Insbesondere bei der Kurzzeitpflege sehen sie eine riesige Lücke. „Menschen nach Krankenhausaufenthalt, die noch nicht zu Hause versorgt werden können, suchen oft händeringend einen Kurzzeitpflegeplatz und finden kein Angebot im näheren Umkreis“, erklärt beispielsweise Gerhard Timm von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege. Vor dem gleichen Problem stünden pflegende Angehörige, die wegen Erschöpfung eine Auszeit brauchten. Viele spezialisierte Anbieter von Kurzzeitpflegeplätzen hätten in letzter Zeit aufgeben, weil sie die hohen Defizite nicht länger tragen konnten.

Das derzeitige Hilfsangebote für häusliche Pflege im Überblick:

Die Pflegegrad Leistungen tabellarisch aufgeführt.
Diese Pflegeleistungen können pflegende Angehörige je nach Pflegegrad zur Unterstützung nutzen. Quelle: https://pflege-dschungel.de/pflegegrad/

Pflegesachleistungen Wer zu Hause von einem ambulanten Pflegedienst bei mindestens Pflegegrad zwei gepflegt wird, hat Anspruch auf Pflegesachleistungen. Das sind beispielsweise grundpflegerische Tätigkeiten wie Hilfe bei der Körperpflege oder der hauswirtschaftlichen Versorgung. Die Höhe richtet sich nach dem vorhandenen Pflegegrad. Pflegegeld Wird die Pflege zu Hause selbst sichergestellt, beispielsweise durch Angehörige oder eine 24-Stunden-Pflege, steht Bedürftigen ab Pflegegrad zwei ein Pflegegeld zu. Die Höhe richtet sich auch hier nach dem vorhandenen Pflegegrad. Betreuungs- und Entlastungsleistungen Für Leistungen wie Arztbesuche oder Einkaufen stehen Pflegebedürftigen pro Monat 125 Euro zu. Diese werden erst gewährt, wenn tatsächlich Leistungen in Anspruch genommen wurden. Verhinderungspflege Bei einem Ausfall der Pflegeperson können Pflegebedürftige einen Antrag auf Verhinderungspflege stellen. Verhinderungspflege kann maximal sechs Wochen beziehungsweise bis zu einem Kostenaufwand von 1612 Euro pro Jahr in Anspruch genommen werden. Kurzzeitpflege In manchen Situationen ist es zeitweise nicht möglich, die Pflege zu Hause durchzuführen. In diesem Fall haben Pflegebedürftige ab Pflegegrad zwei Anspruch auf eine vollstationäre Kurzzeitpflege. Diese darf eine Dauer von 56 Tagen pro Jahr nicht überschreiten und wird mit maximal 1612 Euro bezuschusst. Wer die 56 Tage nicht vollständig nutzt, kann die restliche Zeit auf die Verhinderungspflege umlagern. Wohnumfeldverbessernde Maßnahmen Damit es mit dem Treppensteigen und Duschen auch bei abnehmender Mobilität noch klappt, stehen Pflegebedürftigen einmalig bis zu 4000 Euro für die Wohnumfeldverbesserung (zum Beispiel Einbau eines Treppenlifts oder barrierefreier Badumbau) zu. Hilfsmittel auf Rezept Bei einigen Hilfsmitteln besteht die Möglichkeit, diese vom Arzt per Rezept verordnen und von der Krankenkasse finanzieren zu lassen. Das gilt beispielsweise für E-Rollstühle und Badewannenlifter. Hausnotruf Wenn der zu Pflegende oft allein zu Hause ist, steigt auch das Unfallrisiko. Die Pflegekasse zahlt für die Einrichtung des Systems einmalig 10,49 Euro und monatlich 23 Euro für den laufenden Betrieb. Pflegehilfsmittel zum Verbrauch Pflegebedürftige erhalten für die häusliche Pflege Hilfsmittel zum Verbrauch im Wert von 40 Euro pro Monat kostenfrei.

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